
Dieser Twitter-Thread entstand am 24. März, ist ziemlich lang (waren insgesamt 24 Tweets).
Ich fasse nachstehend zusammen, was ich als in Österreich lebende Person zur Pandemie weiß und mir dazu denke (Hintergrund für Kontext – Datenverarbeiterin, methodische Problemlöserin, Erfahrung in medizinischer Forschung, ÖRK-Zeit).
Ausgangssituation:
Wir sind momentan im Troubleshoot-Modus, um die Zahl der Erkrankten und der stark Betreuungsbedürftigen unten zu halten, da es eine massive zusätzliche Belastung für unsere Gesundheitseinrichtungen bedeutet.
Um das zu erreichen, wurden verschiedene staatliche Maßnahmen gesetzt, um die ungehinderte Ansteckung zu unterbinden und so den Anstieg in eine bewältigbare Form zu bringen. Bekannt als #SocialDistancing und #FlattenTheCurve.
Unbedingt zu verhindern ist eine Überlastung der Einrichtungen, wo das medizinische Personal eine behandelbare Krankheit nicht mehr behandeln kann, sondern nach der besseren Überlebenschance einteilen muss (Triage).
Bislang bekannt:
(+) Die Viruslast kann mit einfachen Maßnahmen wie Händewaschen mit Seife reduziert werden.
(-) Der Virus ist sehr leicht via Tröpfcheninfektion übertragbar, besonders via Mund/Rachen/Atem.
(+) Der Krankheitsverlauf ist meist mild.
(+) Das Verhältnis von mild zu schwer erkrankt ist messbar, und stabil (Aussage basierend auf den Daten, die über das Sozialministerium zugänglich waren).
(-) Man kann übertragen, ohne sich krank zu fühlen (symptomlos infiziert).
Was wir noch nicht wissen:
– Wie viele Personen tatsächlich infiziert sind.
– Ob man immun wird oder ob man sich erneut anstecken kann.
– Ob man krank gewesen sein muss, um immun zu werden.
Stichwort zum Nachschlagen: Stille Feigung.
Dazu fehlen noch Daten. Die zuerst betroffenen Länder werden hier schneller erfassen können – in Asien wird durchgängig getestet, und sie haben jetzt auch mehr Zeit für eine gute Auswertung und Interpretation, da ihre Kurve abflacht.
Aussagekräftige Datenerfassung braucht Ressourcen. Prio 1 war, die Gesundheitseinrichtungen nicht zu überlasten und so alle (!) Personen zu schützen, die Betreuung brauchen. Die Datenerfassung startete somit auf den Anlassfall konzentriert.
Man hat diese Erstmaßnahmen gesetzt (DANKE!), jetzt sollte man möglichst rasch die Datenerfassung ausweiten (vgl. Statement von Pamela Rendi-Wagner).
Warum?
a) Um die „Unbekannten“ (siehe „Was wir noch nicht wissen“) zu erkennen und die Daten sauber interpretieren zu können.
b) Um Folgerisiken einschätzen zu können (z. B. ob weitere Wellen drohen, da keine körpereigene Immunisierung).
c) Um den Maßnahmenkatalog evaluieren zu können (z. B. ob man wieder lockern kann, da Welle abgeflacht & Immunisierung).
d) Um Systeme zu designen, die in Zukunft für derartige Krisen ohne Verzögerung abrufbar sind. Training.
(schimpft mich ruhig Kassandra: die Wissenschaft betonte schon länger, dass wir mehr Derartiges erleben werden, u. a. wegen Klimawandel)
Was wir bei aller Notwendigkeit strikter Maßnahmen nicht vergessen dürfen:
Disziplin auch beim Datenschutz.
Besonders wenn man für die Zukunft lernt und Präzendenzfälle schafft. Bitte nicht Würde & Freiheit für Sicherheit aufgeben.
Unsere Zivilgesellschaft muss so aufgestellt sein, dass (unvermeidbare) Idiotie nicht ins Gewicht fällt. Weiß nicht, wie es euch geht – ich will leben, aber nicht nicht in einem totalitären System, sondern einem intelligent-kooperativen.
Weiterer wichtiger Punkt:
Menschenleben haben immer Prio 1.
Unsere Wirtschaft ist aber Teil unser Lebensqualität (soziale Kontakte, sinnvolle Aufgabe, gute Produkte und Dienstleistungen). Die dürfen wir jetzt nicht schutzlos kippen lassen.
Ich bin froh, dass wir in Österreich eine Sozialpartnerschaft haben, Maßnahmen gemeinsam überlegt & eingeleitet werden (und ja, insgeheim erhoffe ich mir einen Zurück-Zu-Wichtigen-Dingen-Effekt, im Sinne von Nachhaltigkeit & Resilienz).
Jetzt aber zurück zum Thema „Durchgängig Testen“.
Nachfolgend Überlegungen:
Momentan gibt es Engpässe – bei den Tests selbst, und der Logistik der Durchführung.
Mein Ansatz #1: An Orten testen, wo Menschen ohnehin hingehen.
Aber nicht Arzt/Spital. Das ist keine gute Anlaufstelle, da sicher infizierte Menschen dort (unnötiges Risiko) und da diese Ressourcen und besonders das Personal unbedingt geschont werden müssen.
Dort Absicherungstest, nicht Screeningtests.
Was jedoch, wenn wir bei den Lebensmittelgeschäften unseres Vertrauens Erfassungspunkte einrichten, wo wir uns testen lassen können. Mit ÖRK, Zivis, Bundesheer, bezahlten Freiwilligen, etc.
Wichtig: Unter Beachtung des Datenschutzes.
(+) Menschen kommen aus eigenem Antrieb
(+) Risiko der Ansteckung nicht unnötig höher
(+) Heterogene Messgruppen (Alter etc.)
(-) Räumliches Angebot muss vorhanden sein
(-) Nicht alle gehen selbst einkaufen
(-) Manche werden sich drücken wollen
Aus meiner Einschätzung sind die Vorteile gut, die Nachteile kann man in Kauf nehmen bzw. Abschwächungen überlegen.
Was zum Abklären in den Folgemonaten an diesen Erfassungspunkten verbleiben könnte – eine Wärmebildkamera. Wenn erhöhte Temperatur ein guter Signifikator für (erneute) Infektion ist, könnte man so halbwegs anonym & ohne großen Aufwand screenen.
Anderes digitales Messen (z. B. Smartphone-Daten) sehe ich höchst kritisch, in Hinsicht auf Relevanz, Kontext und Datenschutz. Da sind wir schnell statt fortschrittlich einfach nur auf dem digitalen Holzweg.
Daher abschließend – in Situationen wie diesen bin ich voll für eine analoge Datenerfassung (Mensch-Mensch) in Kombination mit digitaler Verarbeitung.
Wir sind soziale Wesen, keine rein binären Daten. Nit vergessen!
Beitragsbild-Quelle (Virus-Visualisierung): CDC/ Alissa Eckert, MS; Dan Higgins, MAM – This media comes from the Centers for Disease Control and Prevention’s Public Health Image Library (PHIL), with identification number #23312.